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Stadt der Heiligen und Verrückten

Erschienen am 01.08.2015
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783608960310
Sprache: Englisch
Umfang: 460 S.
Format (T/L/B): 3.4 x 23 x 15.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Leseprobe

I Für unsere Zwecke beginnt die Geschichte von Ambra mit den legendären Abenteuern des Walfängers & Piraten Katten John Manzikert (1) (2) (3), der im Jahr des Feuers - so genannt wegen der katastrophalen Vulkanaktivitäten in der Südhemisphäre zu jener Zeit - seine Flotte von dreißig Walfangschiffen den Mott-Fluß hinaufführte. Wenngleich nicht das erste verzeichnete Vordringen von Walfängersippen der Aan in jene Region, ist es doch der erste Vorstoß von einiger Bedeutung. Fußnote 1) Zu Manzikerts Zeit hatte der rauhe südliche Akzent seines Volkes die Rangbezeichnung »Kapitän« auf Dauer zu »Katten« verschliffen. »Kapitän« bezog sich nicht nur auf Manzikerts Kommando über eine Flotte von Schiffen, sondern auch auf den alten kaiserlichen Titel, der von den Saphanten an den Befehlshaber einer Diözese von Inseln verliehen wurde; somit hatte der Titel sowohl religiöse als auch militärische Bedeutungsinhalte. Sein Gebrauch so spät in der Geschichte zeigt, wie nachhaltig der Einfluß des Saphantenreiches war: zweihundert Jahre nach seinem Untergang wurden seine Titel noch immer von den Sippen verwendet, die nur aus zweiter Hand etwas über das Reich erfahren hatten. Fußnote 2) Eine Fußnote zum Zweck dieser Fußnoten: Dieser Text enthält so viele Fußnoten, um Ihnen, dem müßigen Touristen, nicht soviel Wissen aufzudrängen, daß Sie sich unter seiner Last den Freuden der Stadt nicht mehr mit Ihrer gewohnten gedankenlosen Hingabe widmen könnten. Um Ihre absehbaren Versuche zu unterbinden, vorzublättern, sobald Sie in diesem Bericht ein Sie interessierendes Thema entdeckt haben, habe ich alle Querbezüge auf andere Hoegbotton-Veröffentlichungen ausgemerzt, die den Rest dieser Heftreihe wie eine Pilzplage überwuchern. Fußnote 3) Ich sollte zu Fußnote 2 hinzufügen, daß die interessanteste Information nur in Form von Fußnoten dargeboten wird, und ich will mich bemühen, soviel Fußnoten wie möglich einzufügen. In Fußnoten angedeutete Informationen werden nämlich später im Haupttext eingehender behandelt, was diejenigen von Ihnen verwirren wird, die beschlossen haben, die Fußnoten nicht zu lesen. Diesen Preis müssen jene bezahlen, die einen betagten Historiker aus seinem Schlaf hinter dem Vortragspult aufschrecken, um ihn zu nötigen, für eine allgemeine Reiseführer-Reihe zu schreiben. Manzikert bezweckte, dem Zorn seines Sippengenossen Michael Brueghel zu entfliehen, der vor einer der Aandalay-Inseln Manzikerts einst so stolze Flotte von hundert Schiffen dezimiert hatte. Brueghel gedachte Manzikert ein für allemal zu erledigen und verfolgte ihn daher an die vierzig Meilen stromauf, in die Nähe des gegenwärtigen Hafens von Stockton, ehe er die Jagd schließlich aufgab. Der Grund für diesen Konflikt zwischen potentiellen Verbündeten ist unklar - wir verfügen über wenige und oft ungenaue historische Quellen, und in der Tat ist einer der betrüblichsten Aspekte der Frühgeschichte von Ambra die Regelmäßigkeit, mit der Wahrheit und Legende getrennte Wege gehen -, das Ergebnis aber ist klar: Im Spätsommer im Jahr des Feuers fand sich Manzikert ganze siebzig Meilen flußauf, an einer Stelle, wo der Mott ein umgekehrtes L bildet, ehe er sich gerade nach Norden und Süden erstreckt. Hier stellte er zum erstenmal fest, daß das südwärts fließende Süßwasser vollständig das Salzwasser verdrängt hatte, das nordwärts heraufsickerte. (4) Als sich am Tage ihrer Ankunft die Dunkelheit herabsenkte, ließ Manzikert seine Schiffe in der Biegung des L ankern, die einen natürlichen Hafen bildete. Die Ufer waren von üppigem Unterholz bewachsen, das den Aan sehr vertraut war, da es der Vegetation ihrer eigenen Inseln im Süden nahekam. (5) Sie hatten ermutigenderweise keine Anzeichen einer womöglich feindlichen Besiedlung gesehen, konnten aber, da die Dämmerung hereinbrach, nicht die Energie aufbringen, eine Expedition auszuschicken. In der Nacht jedoch sahen die Wachleute auf den Schiffen zu ihrem Erstaunen den Schein von Lagerfeuern deutlich zwischen den Bäumen hindurch, und mehr als ein hellhöriger Walfänger bemerkte den Klang eines hohen und fernen Gesanges. Manzikert befahl sofort, im Schutze der Dunkelheit eine Kampftruppe anzulanden, doch der truffidische Mönch Samuel Tonsur überredete ihn, den Befehl zurückzunehmen und das Morgengrauen abzuwarten. Fußnote 4) Heute sinkt der Salzgehalt des Flusses schon bei lediglich 25 Meilen von der Mündung auf den Wert für Süßwasser; der Grund für diese Veränderung ist unbekannt, kann aber mit der Anhäufung von Schwemmsand an der Flußmündung zusammenhängen, der als natürlicher Filter wirkt. Fußnote 5) Fast fünfhundert Jahre später sollte der Petularch Dray Mikal die Rodung der einheimischen Flora rings um die Stadt zugunsten der nördlichen Arten seiner Jugend befehlen, sicherlich eine der hochmütigsten Reaktionen auf Heimweh, die verzeichnet sind. Der Petularch war schon fünfzig Jahre tot, bevor die Verpflanzung als Erfolg gewertet werden konnte. Tonsur der, nachdem er in Nikäa (nahe der Mündung des MottFlußdeltas) gefangengenommen worden war, den Katten zum Übertritt zum Truffidismus bewogen und solcherart Einfluß auf ihn gewonnen hatte spielt eine Hauptrolle, vielleicht die Hauptrolle, für unser Verständnis der Frühgeschichte von Ambra (6) Tonsur ist der Ursprung, von dem die meisten Geschichtsdarstellungen abgeleitet sind sowohl von der diskreditierten (und unvollständigen) Biographie John Manzikerts I. von Aan und Ambra (7), die offensichtlich dem Katten zu Gefallen geschrieben wurde, als auch von seinem geheimen Tagebuch, das er die ganze Zeit über bei sich trug und von dem wir annehmen können, daß Manzikert es niemals gesehen hat, denn andernfalls hätte er Tonsur dem Tode überantwortet. Fußnote 6) Und dennoch, welche Vorstellung haben wir schon vom Vorleben des Mönchs? Bestenfalls eine nebelhafte. In den Aufzeichnungen in Nikäa wird Samuel Tonsur nicht erwähnt, und es ist wahrscheinlich, daß er nur auf der Durchreise in die Stadt kam und daher dort nicht aktiv predigte. »Samuel Tonsur« kann auch ein Name sein, den er sich zulegte, um seine wahre Identität zu verbergen. Eine Handvoll Forscher, insbesondere die aufsässige Mary Sabon, vertreten die Ansicht, Tonsur sei niemand anders als der Patriarch von Nikäa selbst gewesen, von dem bekannt ist, daß er ungefähr zur selben Zeit verschwand, als Tonsur bei Manzikert auftauchte. Als nachhaltigen Beweis bietet Sabon die oft kolportierte Geschichte, der Patriarch habe manchmal seine Stadt inkognito durchstreift, als einfacher Mönch gekleidet, um seinen Untergebenen nachzuspionieren. Er kann durchaus ohne Kenntnis seines Ranges gefangengenommen worden sein - was, wenn es entdeckt worden wäre, Manzikert ein solches Druckmittel gegen Nikäa verschafft hätte, daß er durchaus imstande gewesen wäre, die Stadt einzunehmen und sich in ihren Mauern niederzulassen, vor Brueghel in Sicherheit. Doch wenn dem so war, warum hat der Patriarch dann keinen Fluchtversuch unternommen, nachdem er Manzikerts Vertrauen gewonnen hatte? Trotz einigen anderen von Sabon angeführten Indizien scheint der Fall von Anfang an falsch aufgezäumt zu sein. Meine eigenen Forschungen, untermauert durch den Erbautarchen von Nank, weisen darauf hin, daß das Verschwinden des Patriarchen zeitlich mit dem der Priesterin Caroline von der Kirche des Siebenzackigen Sterns zusammenfällt und daß der Patriarch und Caroline zusammen durchgebrannt sind, wobei die Trauung von einem fahrenden Gaukler vorgenommen wurde, der eilig als Priester ordiniert worden war. Fußnote 7) Aus Gründen, die später deutlich werden, konnte Tonsur sie nicht mehr vervollständigen; daher ließ zehn Jahre später Manzikerts Sohn zu diesem Zweck einen anderen truffidischen Mönch aus Nikäa kommen. Leider glaubte dieser Mönch, dessen Name uns nicht überliefert ist, an das Tragen härener Hemden, tägliche Flagellation und Predigten über »die Abscheulichkeit des geschriebenen Wortes«. Er vollendete die Biographie tatsächlich, hätte sich aber ebensogut die Mühe sp...

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